01/11/2014 Four Years of Blue Rabbit


Auf den Tag genau vor 4 Jahren gab es im White Rabbit das erste Blue Rabbit. Seither wurde ein bis zweimal im Monat stets die Frage aufgeworfen, was denn wohl jener ominöse, von meist gut gebildeten, männlichen und in der Regel mit einer helleren Haarfarbe ausgestatteten Mitgliedern der Mittelschicht goutierte Jazz sei.

Der Anspruch bei der Fragestellung war auf jeden Fall, wie diese Antwort wohl ausfallen würde, wenn man den üblichen Konzertrahmen des Genres in einen kleinen Club, der sonst für eher der Jugendkultur nahestehende Musikarten bekannt ist, verfrachten würde und sich nicht aus öffentlichen Geldern gespeist mit limitierten Mitteln begnügte.

Die Antwort lieferten auf sehr unterschiedliche Weise überwiegend junge Musiker, die meisten aus der Region Freiburg - Basel. Aber auch Beiträge aus dem Rest Europas waren in den Jahren zu hören. Heraus gekommen ist dabei eine Idee, die in ihrer Vielfalt nur einen Schluss zulässt: Jazz ist die Blaupause für eine multikulturelle, pluralistische, nie um unterschiedliche Betrachtungswinkel verlegene Form der musikalischen Kultur, die gerade weil sie das nicht will, über sich selbst hinausweist. 4 Years of Blue Rabbit möchte heute sich selbst feiern und Rückschau betreiben, ohne dabei den Blick auf das Kommende zu verstellen:

Den Anfang macht eine Vernissage, bei der Fotos der englischen Fotografin Hannah Huddy ausgestellt werden. Sie hat in den vergangenen vier Jahren das Blue Rabbit fast immer begleitet, den Musikern auf den Zahn gefühlt und die schönsten Momente mit ihrer Kamera eingefangen.

Das musikalische Rahmenprogramm wird dann Daniele Martini (ts) mit einem Soloauftritt eröffnen. Mit den in Brüssel beheimateten Bands Heinz Karlhausen & The Diatonics, Mulabanda und AY! war er insgesamt drei Mal zu Gast und hat den Eindruck hinterlassen, dass Brüssel wohl die Metropole des Jazz-Core oder Noise-Jazzes sei. Auch heute wird er wohl die Atonalität und die dunkle Seite des Genres ausloten.

Den wohl jazzigsten Sound des heutigen Abends bringt das Joscha Arnold Quintett auf die Bühne. Das Projekt des in Weilheim in Oberbayern aufgewachsenen Bandleaders klingt klassisch, aber wer in jener kleinen Stadt südlich von München aufgewachsen ist, an dem gehen die Sounds und der Wille zur Zusammenführung unterschiedlicher Spielarten von The Notwist nicht spurlos vorüber. Und so klingt es ein bisschen als würde Joscha Arnold (ts) mit Sebastian Scheipers (git), Florian Favre (p), Sebastian Gieck (b) und Severin Rauch (dr) von einem Radiohead-Konzert kommend über alte Charly Parker Stücke improvisieren.

Jenseits des gängigen Klischees war Jazz schon immer eine Musik, die unterschiedliche Sounds vereint hat, ohne sie einfach zu collagieren. Eben jene Herangehensweise verfolgt Fred Heislers Magnetband: Fred Heisler (dr), Emanuel Teschke (b), Florian Moebes (git), Sebastian „Bafti“ Scheipers (git), die unglaublichen Raphael Rossé und Simon Girard (trb), Florian Favre (p) und Maximilian Bischofberger (beatbox) waren mit ihren zahllosen Projekten wichtige Triebfedern des Blue Rabbits. Gemeinsam basteln sie ein Mixtape aus New Orleans Jazz, Oldschool Funk, Hip Hop, Drum and Bass, Elektro und Samples, wahren die Contenance um den Bandsound nicht zu torpedieren, nur um dann um so intensiver als Solisten auszubrechen, zeichnen so ein Bild von einer gesellschaftlichen Utopie während sie es zugleich wieder ironisch brechen, stürmen den höchsten Gipfel der Virtuosität und führen im nächsten Moment einen gewollten Misstake herbei, pendeln zwischen Rausch und Nüchternheit, vereinen scheinbar Unvereinbares.

Den krönenden Abschluss wird Archivarius Olli Lindhorst besorgen. Seine Hingabe an das Blue Rabbit hat jedem Abend der Reihe einen einzigartigen Rahmen geboten. Aus seinen schier überquellenden Plattenregalen wird er heut so wie er es ein ums andere Mal getan hat, eine Reise durch die Dekaden und Stile vollführen, Relikte ausgraben und scheinbare Gegensätze Hand in Hand über die Bohlen des Hasenbaus streifen lassen.

20/10/2014 Blue Rabbit


Zur 47. Auflage des Blue Rabbits ist heute Abend Die Abmahnung aus Luzern zu Gast im White Rabbit.

Bloße Kraft und Melancholie liegen manchmal näher bei einander als man denkt. Christof Mahnig (tp) und seine Band (Laurent Méteau, git / Rafael Jerjen, b / Martin Perret, dr) tragen ein Bebop-Statement in hartem unisono vor – energetisch, laut, ausschweifend und exzentrisch wird auf den Putz gehauen. Und auf einmal öffnet sich ein Fenster: Der Blick fällt auf verschneite Berge, die Trompete erhebt sich über skandinavische Weiten, ein sehnsuchtsvoller Gedanke an wärmere Gefilde durchströmt die Szenerie, bevor die Geschichte eine weitere wundersame Wendung nimmt.

Wie gewohnt wird auch heute wieder Archivarius Oli Lindhorst im Anschluss an das Konzert die Pole der Jazzgeschichte ausloten. Lange schon sind seine Blue-Rabbit-Sets keine intellektuellen Synthesen mehr, hier wird ein Gottesdienst für Schatzgräber gefeiert!

21:00 / pay after

06/10/2014 Blue Rabbit



Zur 46. Auflage des Blue Rabbits gibt es heute mit dem preisgekrönten The Quartet of Bash aus Bern ein Novum:

Lukas Roos (cl), Florian Möbes (g) Domi Chansorn (dr) und Samuel Gfeller (visuals) werden das Genre Jazz ein weiteres Mal sprengen, diesmal allerdings nicht im Sinne einer Verquickung unterschiedlicher musikalischer Stile. Vielmehr wird durch die Gleichzeitigkeit von Comic, Visuals und Musik ein intermediales Projekt verwirklicht, dass es so im White Rabbit noch nicht gegeben hat.

Ausgangspunkt ist das Comic "THE NUMBER 73304-23-4153-6-96-8" des Schweizer Zeichners Thomas Ott, eine düstere Geschichte des steilen Aufstiegs und tiefen Falls eines namenlosen Scharfrichters. Die Comicstrips werden mit einer eigens kreierten Software von den Musikern live in Szene gesetzt, während Sounds durch Effektgeräte jagen. Und so gelingt es Bash nicht einfach nur eine Filmsequenz zu vertonen, sondern den gewohnten Jazzkontext aufzubrechen und eine musikalisch-visuelle Story mit eigener Ausdrucksform auf den Punkt zu bringen.

Im Anschluss wird Archivarius Oli Lindhorst als Experte für Kopfkinomusik das Gesehene, Gehörte und Gefühlte sacken lassen, weiterspinnen und schließlich ein gänzlich neues Kapitel aufschlagen für all jene, die seine Forschernatur zu lieben gelernt haben.

21:00 / pay after